Gerhard Neubert: Pioniere lernen gut
Gerhard Neubert wurde am 21. Februar 1926 in Hilmsdorf/Geringswalde geboren. Von 1940 bis 1943 absolvierte er eine Lehre zum Holzbildhauer in der Stuhl- und Tischfabrik Geringswalde. Von 1943 bis 1945 wurde der 17jährige Neubert zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet. Nach dem Ende des II. Weltkrieges arbeitete er als Holzbildhauer in Geringswalde. 1948 begann Neubert das Studium der Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und beendete es 1953 mit dem Diplom. Bis 1968 unterhielt er ein Atelier im Künstlerhaus Loschwitz. Bereits 1956 war er als Lehrer für plastisches Gestalten an der Pädagogischen Hochschule Dresden tätig, seit 1975 war er freischaffend. Neben vielen anderen Aufträgen fertigte Neubert zwischen 1980 und 1983 das Schnitzwerk der Jehmlich-Orgel für die Semperoper Dresden. Gerhard Neubert starb am 2. Juli 2005 in Dresden.
Kindergruppe „Pioniere lernen gut“
In Lauchhammer-Mitte, dem ehemaligen Bockwitz, wurde 1952 mit dem Bau der Neustadt 1 begonnen. Den Entwurf lieferte der Hallenser Architekt Max Heide. Die moderne Stadtplanung verband Wohnungsbau mit großzügiger Infrastruktur, Geschäften, Kindergärten, einer Poliklinik und einer neuen Schule, der Mittelschule III, später POS III „Georg Schumann“. Vor der heutigen „Europaschule“ in der Zillestraße steht auf einer Grünanlage die Plastik „Pioniere lernen gut“. Die Kindergruppe wurde von dem noch jungen Bildhauer Gerhard Neubert modelliert. Er gewann den Wettbewerb, der für die künstlerische Gestaltung der Schule ausgelobt wurde. Die Plastik wurde 1956 in der Dresdener Gießerei Pirner & Franz in Eisen gegossen. Künstlersignatur und Gießereistempel fehlen.
Ein Mädchen, etwa im Alter von 13 Jahren, bekleidet mit einem knielangen Kleid hält mit der rechten Hand ein aufgeschlagenes Buch. Sie wendet ihren Kopf und ihren Körper leicht nach links, legt ihre linke Hand auf die Schulter des kleineren Jungen und scheint ihm etwas in dem Buch zu zeigen oder zu erklären. Der Junge richtet seinen Kopf interessiert und aufmerksam nach oben und schaut sie an. Mit seiner linken Hand hält auch er das Buch. Beide scheinen im Gespräch zu sein. Der Junge ist mit einer kurzen Hose und einem kurzärmeligen Oberteil bekleidet. Die Kleidung ist insgesamt sparsam angedeutet und weist nur wenige Faltenwürfe auf. Beide Kinder tragen einfache geschlossene Schuhe. Sie stehen auf einer quadratischen Plinthe, die etwa 4 Zentimeter hoch ist. Die Gesamthöhe beträgt etwa 180 Zentimeter. Die Plinthe ist etwa 40 Zentimeter breit und 60 Zentimeter lang. Die Silhouette der Kinder prägt die Erscheinung der Plastik maßgeblich. Auf Verzierungen verzichtet Neubert zugunsten der konzentrierten Wirkung der Form sowie der künstlerischen Aussage. Beide Kinder haben eine zwanglose einander zugewandte Haltung, die entspannt, selbstverständlich und rein wirkt. Der Titel „Pioniere lernen gut“ ist vordergründig nicht als Programm umgesetzt, vielmehr thematisiert Neubert die natürliche Wissbegierde, wie sie Kinder an den Tag legen, die sich ganz mit ihrer Umwelt auseinandersetzen können, lernen und sich frei und beschützt entwickeln können. Die Figurengruppe ist Ausdruck des Beginns einer neuen Zeit mit friedlichen Zielen und einem zukünftigen Denken. Sie sind Sinnbild eines Ideals. Baubezogene Kunst der DDR war oftmals von soziologischer Bedeutung und funktionierte als identitätsstiftendes Element. Trotz des Titels sind die Kinder nicht als Pioniere dargestellt. Die Jung- und Thälmannpioniere der Deutschen Demokratischen Republik trugen blaue bzw. rote Halstücher, die Neubert nicht in die Gestaltung einbezogen hat. So sehen wir zwei Kinder, die am Beginn ihres Lebens stehen.
Die Plastik „Pioniere lernen gut“; Foto: Antje Bräuer 2022
Stilistisch entspricht die Darstellungsweise den sozialistischen Plastiken der Jahre nach dem II. Weltkrieg. Die Figuren wurden realistisch modelliert, in anatomisch korrekter Form und mit nur leicht strukturierter Oberfläche. Beide Kinder erzählen durch ihre Haltung und Gestik eine Geschichte und sind Botschafter einer Idee. Lernen für das Leben und die Zukunft waren Programm der jungen 1949 gegründeten DDR. Dieser Gedanke spiegelt sich in diesem zeittypischen Beispiel der Bildhauerei der 50er Jahre im Osten Deutschlands wider.
Obwohl die Plastik von Schülern und Lehrern regelmäßig gepflegt wurde, hinterließ die Zeit doch ihre Spuren. Rost, Löcher und abgefallene Teile machten eine Restaurierung nötig. Im Jahre 2009 riefen Schüler der heutigen Europaschule zu einer Spendenaktion auf. Sowohl Bürger als auch Betriebe beteiligten sich, sodass mehr als 7000 Euro gesammelt wurden. Nach der Restaurierung in der 3A Kunstguss Lauchhammer GmbH konnte die Plastik am 3. Juli 2009 enthüllt werden. Sie steht nun auf einem etwa 80 Zentimeter hohen quadratischen Sockel, aus grauen bossierten Granitblöcken gemauert und mit einer einmal ein Meter großen etwa 2,5 Zentimeter starken Granitplatte abgedeckt. An der Vorderseite des Sockels befindet sich eine bronzene Platte mit Datum und Dank an die Sponsoren. Nach inzwischen 13 Jahren sind wieder Rostspuren sichtbar.
Schrifttafel am Sockel der Plastik; Foto: Antje Bräuer 2022
Kuratorin Antje Bräuer